Der Genossenschaftskommentar - Ein
Leitfaden für die Praxis |
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Frage: |
Wir erleben derzeit eine wahre Flut
von Versprechungen, was alles unter dem Begriff „Mitgliederförderung“ zu
sehen ist. Ich bin selbst im Aufsichtsrat einer Genossenschaft und werde Ständig
von zahlreichen Mitgliedern unserer
Genossenschaft bedrängt, unsere Mitgliederförderung erheblich auszuweiten.
Unlängst war ich bei einem „Beratungsgespräch“ anwesend, weil ein Bekannter
von uns, der zahlreiche Immobilien hat, von einem „Berater“ angesprochen
wurde und einen Beratungstermin hatte. … Ich hatte den Eindruck, auf einem
„Förder-Basar“ zu sein, denn es gab fast keinen Bereich, der angeblich nicht
„förderfähig“ wäre – so der Berater. … Alles zum Wohle der Mitglieder, auch
das noble Firmenfahrzeug oder die Mitglieder-Weiterbildung im
„Ferienparadies“. Natürlich fehlten die „Bioküche“ und andere „Wohltaten“
nicht. Und der „Gründungsspaß“ recht teuer. Ziemlich viel für das Ausfüllen
von einigen „Gründungs-Vordrucken“. …
Ich hätte den Preis ja noch verstanden, wenn es eine „gesicherte“
Zusage für die „Förderung“ gegeben hätte. Auf die Frage des anwesenden
Steuerberaters meines Freundes, nach der „Belastbarkeit“ der
Beratungsempfehlungen, wurde seitens des Beraters auf das
Genossenschaftsgesetz und auf Kommentare dazu verwiesen. Insbesondere ein
Herr Peutin (oder so ähnlich) wurde zitiert. Der sei eine große Nummer im
Genossenschaftsbereich. … Der Steuerberater verwies immer wieder auf die
„ungesicherte“ „Steuerlage“ hin, es gäbe bisher dazu keine gesicherte
Rechtsprechung. …. Was soll ich nun glauben? Habe ich
als „Aufsichtsrat“ etwas falsch gemacht oder sind da „Scharlatane“ unterwegs,
die nicht wissen, was sie tun: ·
Man provoziert
den Gesetzgeber und trägt vielleicht dazu bei, das Genossenschaftsrecht
einzuschränken. … Wie sollte man sich verhalten? |
Antwort: |
Wir kennen die Thematik inzwischen recht gut und wundern uns schon, für
wie naiv manche „Kunden“ und „Genossenschaftsberater“ die Gesetzgeber halten,
die gerade jetzt die ganz normale „Wirtschaftstätigkeit“
(pandemiebedingt) mit hohen zusätzlichen Milliarden-Krediten „am
Leben“ erhalten müssen. Diese zusätzlichen Staatsschulden müssen von den
Steuerzahlern in den nächsten Jahren (zusätzlich) aufgebracht werden. … Zur gleichen Zeit verkünden „eloquente“ Verkäufer den „leichten Weg
zum Steuersparen“ zur Sicherung des „Vermögenswachstums“ –
vorrangig für bereits „sehr gut Betuchte“, wie man landläufig sagen würde. … Dies hat nichts mit einem „Genossenschaftskommentar“ zu tun,
könnte man einwenden. Das sieht aber nur auf den ersten Blick so aus, denn
wie Juristen wissen, wird bereits in den Anfangssemestern der Rechtswissenschaften
gelehrt, dass „Recht“ auch „politisch“ ist. Manche sprechen „von zu
Normen geronnener Politik“. … Natürlich kennt man auch den Unterschied zwischen „Legitimität“
und „Legalität“. … Nehmen wir einmal an, dass jemand meint, es könne zur
Mitgliederförderung gehören, z.B.: ·
Einen überdurchschnittlich großen Sportwagen
für die Genossenschaft anzuschaffen, um die Kinder von Mitgliedern zur Schule
zu fahren; ·
Weiterbildung müsse in Mallorca oder in USA
erfolgen; ·
Die moderne „Bio-Küche“ und die „Bio-Nahrung“
für die „Familie der Mitglieder“ anzuschaffen; ·
Das in die Genossenschaft eingebrachte Haus
komplett zu sanieren, etc.. So oder ähnlich, die „Verkaufs-Idee“ von „pfiffigen“
Genossenschaftsberatern. Das alles schreibt man „abstrakt“ in die Satzung
und konkretisiert es über eine „Förderrichtlinie“ der Genossenschaft.
... Recht zeitnah dürfte es in solchen Genossenschaften zu einer „Umsatzsteuer-(Sonder-)Prüfung“
kommen. … Die Frage ist angemessen, mit welchen „Gesetzen oder Richtlinien“ dieser
Steuerprüfer wohl ausgestattet ist? Wir vermuten, er ist mit Steuergesetzen,
Steuer-Richtlinien und Arbeitspapieren der Oberfinanzdirektion (OFD)
ausgestattet. Er oder sie hat Listen mit sog. Vergleichswerten zur
„Angemessenheit“ dabei. Die Steuerprüfung wird sich an der zentralen
Frage dieser „Angemessenheit“ orientieren und - wahrscheinlich in zwei
Richtungen gehend - zunächst so lauten: ·
Wie wäre der Vorgang aus der Sicht eines
Vergleichs mit anderen Unternehmensformen zu beurteilen? Sind Sportwagen, Weiterbildung in USA, Bio-Küche, Haussanierung, etc.
schon „beurteilt“ worden? ·
Wie sind diese Situationen – abweichend – bezogen
auf die Besonderheit einer Genossenschaft – unter Berücksichtigung der
Spezifik „Mitgliederförderung“ – zu sehen? Wir fassen zusammen: ·
Es spricht natürlich nichts dagegen, eine
„komfortable“ Mitgliederförderung „auszuweisen“. Das macht sich gut in der
Situation „Verkauf einer Beratungsleistung“. Aber ist das auch im Interesse des Genossenschaftsgedankens allgemein
und einer zukunftsfähigen, rechtssicheren Mitgliederförderung im
Besonderen? Nichts spricht dagegen, die Mitgliederförderung – der Grundgedanke der
Genossenschafts-Idee – latent den jeweilig konkreten Momenten einer jeweils konkreten Genossenschaft –
anzupassen, um die „Wirtschaft“ (der Genossenschaft und deren Mitglieder) –
ganz wie es im GenG vorgesehen ist - zu fördern. Wir haben jedoch Bedenken, dies als eine Art „Vertriebskonzept“
aufzubauen und zu popularisieren, weil man bereits hiermit zum Ausdruck
bringt, eben diese „Einzelfall-Entscheidung“ oder anders ausgedrückt,
die unterschiedlichen Situationen (zwischen und in Genossenschaften)
eigentlich nicht berücksichtigt zu
haben. …. Auch wenn es zunächst („vertriebstechnisch“) Sinn machen könnte, die
Mitgliederförderung zu „standardisieren“, wird das später – z.B. bei einer Betriebsprüfung
oder einem Urteil des Finanzgerichtes – sich wahrscheinlich als – nicht
unerheblicher Nachteil herausstellen können, weil: ·
Es eher unwahrscheinlich ist, dass
man bereits vor einer Gründung –
und au0erdem ganz allgemein abstrakt generell geltend - oder auch
während des Gründungsvorganges einer jeweiligen Genossenschaft, bereits genau
gewusst haben könnte, wie im Einzelfall die jeweils konkrete
Genossenschafts-Förder-Situation aussehen werde. … Mitgliederförderung ist eher eine „variable“
und von Genossenschaft zu Genossenschaft divergierende,
spezifische Situation. Ohne Einzelfall-Betrachtung – also bezogen
auf Sachverhalt und sogar den gewählten Zeitpunkt – sowie jeder speziellen
Art und Geschäftsbetrieb einer Genossenschaft, macht man sich unnötig „angreifbar“ gegenüber den –
ganz sicher nicht unkritischen Einstellungen – von zunächst Steuerprüfern und
danach wohl auch Finanzgerichten. … Es sollte nachdenklich machen, weshalb der Gesetzgeber (GenG)
ausgerechnet den „zentralsten“ Unterschied dieser Unternehmensform zu
anderen Rechts-Formen, sozusagen das „Herzstück“
einer Genossenschaft - die Mitgliederförderung - eben nicht besonders
konkretisiert hat, sondern es bei (abstrakt-generellen) Hinweisen in § 1 GenG
bewenden lässt, um die Grundvoraussetzungen für eine „Genossenschaft“ zu
definieren: Zunächst die – alte –
Fassung, die seit Entstehung des GenG – 5/1889 (RGBL1,55) bestand: ·
„Gesellschaften von nicht geschlossener
Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft
ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb bezwecken …“
(sind Genossenschaften) Die seit 17.07.2017 geltende Fassung des GenG (BGBL 1 S. 2541)
lautet nunmehr: ·
„Gesellschaften von nicht geschlossener
Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder
die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle
Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern
(Genossenschaften), erwerben die Rechte einer "eingetragenen
Genossenschaft nach Maßgabe dieses Gesetzes.“ Bei einem Vergleich beider (aktuell bestehenden) Formulierungen könnte
man zu folgenden Überlegungen kommen: A. ·
Der Erwerb oder die Wirtschaft soll durch
„soziale und kulturelle Belange“ – in der gleichen Genossenschaft
- ergänzt werden. oder ·
Es sollen nunmehr auch (solche)
Genossenschaften entstehen können, die (als Unternehmensgegenstand) die
sozialen oder kulturellen Belange ihrer Mitglieder fördern. Eine andere Interpretation könnte jedoch z.B. lauten: B. ·
Genossenschaften, die dem Erwerb oder die
Wirtschaft dienen, sollen auch (also zusätzlich) die
sozialen und kulturellen Belange ihrer Mitglieder wahrnehmen können. Wir fügen diese Betrachtung deswegen an, weil eine überzogene, abstrakt
generelle Betrachtungsweise sogar herausfordern könnte, infrage zu stellen,
ob es sich denn bei solchen Konstrukten überhaupt (noch) um eine
Genossenschaft handelt? … Es steht mehr zur Diskussion, als bisher angenommen. Noch befindet sich
alles in einer Art „Klärungs-Vor-Phase“. Es geht nicht nur darum, die Mitgliederförderung zu „optimieren“,
es kann auch darum gehen, zu vermeiden, dass diese „Turbo-Förder-Diskussion“
in ihr Gegenteil umschlägt und man
sich plützlich - bezüglich der Mitgliederförderung - grundlegend - in
der „Rechtfertig-ungs-Defensive“ zu befindet. Wir wollen das hier nicht näher thematisieren, nicht unnötig
mit dem „Feuer“ spielen, aber die Zeiten sehen derzeit eher – finanzpolitisch
– nach „Restriktionen“ aus, als nach großzügigeren Erweiterungen in Richtung Ausweitung
von „Steuervergünstigungen“ aus. … Vor allem sollte man dringend überprüfen, ob es wirklich Sinn macht, aktiv
zu „werben“ mit den „tollsten Sparmodellen via Genossenschaften“. Dazu
zählt auch, quasi das Verteilen von Vordrucken, also von „Standardlösungen“.
Um nicht missverstanden zu werden: ·
Es ist durchaus von Vorteil, wenn sich die „Rechtsnorm
Genossenschaft“ von dem Klischee befreit, lediglich „eine Veranstaltung
zur Behebung von sozialen Nachteilen zu sein. Wenn man Genossenschaften (auch)
als eine wichtige Rechtsform zur Entwicklung des Kooperativen Wandels“
ansieht (und das ist sie durchaus), dann sind Wege richtig und wichtig, z.B. im
wirtschaftlichen Mittelstand Akzeptanz zu finden. Hier stehen wichtige
und interessante Themen für genossenschaftliche Lösungen an. Genossenschaften
bieten sich – geradezu ideal – zu intelligenten Lösungen, wie z.B. die Unternehmensnachfolge. Auch die Kombination von Genossenschaften mit anderen „Systemen“, wie z.B.
Stiftungen oder Vereine ist interessant. Mit dem Konzept „MitUnternehmer“ entsteht z.B. eine stärkere
Identifikation der Beschäftigten zum Unternehmen (anderer Rechtsformen). Auch
die Kombination von anderen Rechtsformen mittels Genossenschaften („Mitarbeiter-Genossenschaft“
z.B. für Gruppen-vorteile) oder die „Stärkung von Vereins-Finanzen“
mittels „Vereins-Genossenschaften“, sind Wege in eine Kooperative
Innovations-Gesellschaft. Solche Perspektiven würden jedoch geschwächt, wenn man: ·
Genossenschaften auf „Steuer-Spar-Ideen“ reduzieren würde. Aber vielleicht war bisher alles nur ein „Missverständnis, weil das
eigentliche (genossenschaftliche) Potential noch nicht erkannt wurde. Die Rechtsform Genossenschaft wird - ohne Zweifel - für immer mehr (freie)
Berufe mit „beratendem Charakter“ interessant. … Genossenschaftsberater,
die mit Unternehmensberatern, Steuerberatern, Rechtsanwälten, kooperieren
wollen, werden nicht umhinkommen, das „gesamte Spielfeld“ zu betrachten und vor
allem „Langfrist-Nutzen“ (statt „Strohfeuer“) zum wechselseitigen
Vorteil definieren müssen. … Mitglieder-Förderung ist für alle Formen von Genossenschaften viel
zu wichtig, um sie zur Disposition zu stellen. Wer aber meint, lediglich überzogene Erwartungen zum Förderzweck in
Genossenschaften sei das Problem, der sollte wissen, dass auch das Gegegenteil
nicht akzeptabel ist. |
Redaktion: AG Genossenschaftskommentar- in Verbindung
mit - SmartCoop Forschungsinstitut (SCFI) „ThinkTank“ des MMWCoopGo (Bundesverbandes
für die gesamte Cooperatins- u. Genossenschaftswirtschaft) i.V.m. Experten
und Fachleuten des Bereichs Genossenschaften. Beiträge der Redaktion werden
u.a. im Blog https://genossenschaftskommentar.blogspot.com veröffentlicht. Mails
senden Sie bitte an: info@menschen-machen-wirtschaft.de |
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